Preview Mode Links will not work in preview mode

MS-Perspektive - der Multiple Sklerose Podcast mit Nele Handwerker


Mar 21, 2022

Cover zu Schluck- und Sprechstörungen bei MS | Podcast #128, Photo by Catherine on Unsplash
Schluck- und Sprechstörungen spielen meist eine untergeordnete Rolle in der Wahrnehmung von Patienten. Dabei treten Probleme mit dem Schlucken bei bis zu 40% und mit dem Sprechen bei circa 75% aller MS-Patienten im Laufe der Krankheit auf. In Folge #128 geht es darum, wie Du erkennst, dass ein Problem besteht und vor allem was Du dagegen unternehmen kannst. Schließlich gehören Essen und Trinken sowie die Unterhaltung mit anderen Menschen zu den absoluten Grundbedürfnissen. Ein Logopäde kann Dir dabei helfen, das Schlucken oder auch Sprechen wieder zu erlernen. Genaueres erfährst Du im Beitrag.

Wann treten Schluck- und Sprechstörungen auf?

Tendenziell spielen Sprech- und Schluckstörungen oft erst im späteren Verlauf eine Rolle. Ein leicht verändertes Sprechen ist zunächst wenig auffällig. Erst wenn die Kommunikation stark in Mitleidenschaft gezogen wird, leidet das Sozialleben und der Handlungsdruck steigt. Generell treten leichte bis schwere Sprechprobleme bei bis zu 75% aller MS-Patienten auf.

Schluckstörungen führen vielleicht schon eher zu einem Leidensdruck, da häufiges Verschlucken mindestens unangenehm und teilweise sogar gefährlich ist. Mit einer Häufigkeit von 30 bis 40% ist es jedoch weniger weit verbreitet. Auch hier bezieht sich die Zahl auf alle Schweregrade von leicht bis stark.

Beide Symptome können, müssen aber nicht, gemeinsam vorliegen. Es besteht außerdem ein Zusammenhang mit Bewegungsstörungen.

Wie äußern sich Schluck- und Sprechstörungen bei Multipler Sklerose?

Sprechstörungen

Bei Sprechstörungen funktionieren die zum Sprechen benötigten Muskeln und Organe nicht mehr richtig. Die Bandbreite reicht von minimal bis zur absoluten Unverständlichkeit. Man spricht von einer Dysarthrie, wenn Lähmungen oder eine gestörte Koordination der Sprechmuskulatur die Lautbildung erschweren.

Falls zusätzlich noch Atmung, Resonanz und Stimmerzeugung betroffen sind, lautet der Fachbegriff Dysarthrophonie. In jedem Fall wird die Kommunikation erschwert, was meist zu weniger Kontakten führt.
Konkrete Symptome:

  • zu leise oder laute Stimme bzw. zu hohe oder zu tiefe Stimmlage
  • eine raue, heisere oder gepresste Stimme
  • undeutliche, verwaschene Aussprache
  • zu langsames oder schnelles Sprechen
  • eine monotone Sprechmelodie, abgehacktes Sprechen, unangemessene Sprechpausen
  • Tonhöhenschwankungen und -sprünge
  • Atemstörungen (Kurzatmigkeit, Sprechen bei der Einatmung oder am Ende der Ausatmung, ungleichmäßige Atmung, etc.)

Gut zu wissen:
Wortschatz und Sprachverständnis sind bei einer Sprechstörung nicht beeinflusst.

Schluckstörungen

Bei einer neurogenen Schluckstörung, auch Dysphagie genannt, funktioniert das sonst recht automatisch ablaufende Programm nicht mehr und Essen und Trinken können zur Qual werden. Typische Anzeichen sind:

  • häufiges Verschlucken
  • erhöhter Speichelfluss
  • Hustenreiz
  • eine belegte Stimme
  • wässrige, tränende Augen
  • eine verstärkte Verschleimung
  • Fieber
  • Mangelernährung und Flüssigkeitsverlust
  • mögliche soziale Isolation, da beim Verschlucken auch Nahrung aus Mund oder Nase wieder austreten kann

Bei vielen Betroffenen gelangen Nahrungsbestandteile in die Atemwege. Die Hälfte aller Patienten hustet, die andere Hälfte nicht. Denn auch dieser Schutzreflex kann gestört sein.

Welche Auslöser führen zu Schluck- und Sprechstörungen?

Am Schluckvorgang sind ca. 50 Muskelpaare und 5 Hirnnerven beteiligt. Die fünf wichtigen beteiligten Nerven sind der Trigeminus, der Facialis, der Glossopharyngeus, der Vagus und der Hypoglossus. Je nachdem, wo die MS-Läsionen auftreten, funktionieren sie nicht mehr richtig oder ihre sonst völlig unbewusst ablaufende Koordination. Da wir ungefähr einmal pro Minute schlucken, macht das rund 1.000 Mal Schlucken pro Tag. Echt blöd, wenn es nicht mehr richtig funktioniert.

Auch bei Sprechstörungen können einzelne Muskeln oder deren Zusammenspiel gestört sein.

Wichtig:

Medikamente gegen Spastiken können Sprechstörungen verschlechtern. Vielleicht macht es Sinn, eine geringere Dosis auszuprobieren und zu testen, ob die Sprache dadurch wieder deutlicher wird.

Welche Tests werden durchgeführt, um die Diagnose zu stellen?

Bei Schluckbeschwerden werden neben allgemeinen Beobachtungen, die am Schluckvorgang beteiligten Organe überprüft. Es wird geschaut, ob die Sensibilität ausreichend vorhanden ist und wie der Schluckversuch abläuft. Nach Bedarf werden spezielle Endoskope eingesetzt, um zu überprüfen, ob Speichel, Essen oder Nahrung versehentlich in die Luftwege gelangen.

Zur genauen Diagnostik bei Sprechstörungen gehört ein Überprüfen der Reflexe, der Lippenbewegungen, der Atmung, des Kiefers, des Gaumensegels, der Stimme, der Zunge und der generellen Verständlichkeit. Außerdem ist der Verlauf entscheidend, tritt eine Besserung auf, bleibt alles gleich oder wird es sogar schlechter?

Auswirkungen von MS-bedingten Schluck- und Sprechstörungen?

Sprechstörungen erschweren die Kommunikation mit anderen Menschen und können zur Isolation führen.

Bei Schluckstörungen besteht die Gefahr einer Mangelernährung, Dehydrierung und Lungenentzündung.

Die Lebensqualität sinkt in beiden Fällen deutlich. Daher lautet mein Tipp. Sobald Du oder Dein Umfeld Veränderungen wahrnehmen, solltest Du Dir professionelle Hilfe holen.

Ganz konkret können Schluckbeschwerden zu häufigen Husten- und Erstickungsanfällen während dem Essen und Trinken führen. Eventuell fließt auch Nahrung in die Nase. Der Speichelfluss kann erhöht sein. Auch eine öfter auftretende „gurgelnde“ Stimme nach dem Essen oder ein Fremdkörpergefühl beim Schlucken können durch eine neurogene Schluckstörung ausgelöst werden.

Eine große Gefahr ist die sogenannte stille Aspiration. Nahrung oder Getränke gelangen in die Luftwege und bei 50% der Betroffenen passiert das still, sprich ohne Hustenanfälle. Eine Lungenentzündung kann die Folge sein, ebenso Fieber.

Was kannst Du selber bei Schluck- und Sprechstörungen tun?

Such Dir frühzeitig professionelle Hilfe beim Logopäden und vermeide dadurch negative Auswirkungen auf Deine Gesundheit und Dein Sozialleben. Das klare Ziel ist, dass Deine Sprache besser verständlich wird und Du somit wieder leichter mit anderen kommunizieren kannst. Falls Deine Atmung betroffen ist, wird sie ebenfalls trainiert.

Bei Schluckproblemen geht es darum, das eigentliche Schlucken zu verbessern, damit Du regelmäßig und ausreichend Nahrung und Flüssigkeit aufnehmen kannst. Dem Verschlucken soll vorgebeugt werden.

Nutze die erlernten Techniken und Übungen auch privat. Und Lasse auch all Deine anderen MS-Symptome wie Fatigue, Tremor oder Spastiken behandeln. Multiple Sklerose ist eine komplexe Erkrankung, die einer ebenso umfassenden Behandlung bedarf.

Konkrete Tipps bei Schluckbeschwerden

Sitze aufrecht und mit erhobenem Kopf.

Iss wenig Süßspeisen und Milchprodukte, sie regen den Speichelfluss an.

Lass Dir Zeit beim Essen, Trinken und Sprechen. Kurze Pausen, gutes Kauen und kleine Bissen sind gesünder und führen zu weniger Problemen.

Nutze Verdickungsmittel. Sie können Dir helfen, Flüssigkeiten ohne Verschlucken zu trinken.

Beachte die Konsistenz, sie ist ein entscheidender Faktor. Vermeide Nahrungsmittel, die trocken, klein, körnig, zäh, reizend oder scharf sind. Sie erhöhen die Gefahr von Schluckbeschwerden.

Verzichte auf Kräuter, Fasern und Garnituren und auf Mischkost.

Ein feiner, homogener, nicht klebriger Brei ist ideal, ebenso weiche Speisen.

Lass beim Trinken den Kopf nahe der Brust, statt ihn nach hinten zu beugen.

Bleib nach dem Essen noch mindesten 20 Minuten sitzen und führe anschließend eine gründliche Mundpflege durch. Damit keine kleinen Speisereste zum späteren Verschlucken führen.

Wie kann Dir die Logopädie bei MS-bedingten Schluck- und Sprechstörungen helfen?

Sprechstörungen

Bei Sprechstörungen steht die Verhaltensänderung an oberster Stelle. Du trainierst Deine Sprechgeschwindigkeit, Deine Stimmlage und Deine Körperhaltung, aber auch die Lautbildung. Außerdem wird Dir beigebracht, kurze Sätze zu verwenden.

Anfangs geht es darum, dass Du Deine Defizite bewusst wahrnimmst, um anschließend gezielt an ihnen zu arbeiten. Dabei wird die Beweglichkeit Deiner Sprechorgane trainiert, also von Zunge, Lippen und Unterkiefer und deren Bewegungen.

Wusstest Du, dass beim Sprechen ca. 100 Muskeln aktiv sind? All diese Muskeln können gekräftigt und mobilisiert werden. Dabei kommt der Atmung eine besondere Rolle zu, denn ohne genug Puste, klappt Sprache einfach nicht.

Vielleicht spricht Dich eine Gruppentherapie an. Dort kannst Du Dich mit Gleichgesinnten austauschen und vor allem lernen zu argumentieren und zu diskutieren. Egal ob Du eine bestimmte Rolle einnimmst, die Kommunikation zeitweise leitest oder Deine Krankheit verarbeitest, am Ende trainierst Du den Austausch mit anderen und das ist sehr gut.

Falls die Problematik bei Dir besonders fortgeschritten ist, übt der Logopäde die nonverbale Kommunikation mit Dir, sprich Mimik und Gestik. Darüber hinaus kommen technische Unterstützungsmöglichkeiten hinzu, wie schriftbasierte Kommunikationsmittel, Sprachverstärker oder Sprachcomputer bzw. verschiedene Apps. Natürlich können Dir Hilfsmittel nur nutzen, wenn Du sie akzeptiert und als Unterstützung verstehst.

Schluckstörungen

Die konkrete Schlucktherapie hängt von der genauen Ursache ab. So kannst Du Übungen für Zunge und Lippen nutzen oder Dein Schluckreflex bewusst stimuliert werden. Eine aufrechte Sitzposition und Kopfhaltung sowie ganz bewusstes, teils erneutes Schlucken und Nachräuspern können ebenfalls hilfreich sein.

Hinzukommen Stimm-, Sprech- und Atemübungen, die nicht nur beim Sprechen helfen, sondern auch das bessere Schlucken fördern.

Anmerkung

Heutzutage gibt es eine Vielzahl an Therapieoptionen, um die MS zu bremsen oder zu stoppen, dass so starke Symptome immer unwahrscheinlicher werden. Aber natürlich gibt es auch MS-Patienten, die schon sehr lange mit der Diagnose leben und keine oder erst sehr verspätet Therapiezugang erhalten oder sich bewusst dagegen entschieden haben. Für diese Menschen ist es gut, dass es eine Vielzahl an Unterstützungen gibt.

Gibt es Medikamente gegen Schluck- und Sprechstörungen bei Multipler Sklerose?

Wenn eine sehr starke Sprechstörung vorliegt und die Logopädie nicht zur gewünschten Besserung führt, kann Fampridin ausprobiert werden.

Bei einer zu hohen Speichelproduktion, hilft womöglich eine Injektion mit Botulinumtoxin in die Speicheldrüsen.

Wie immer gilt, sprich Deinen Neurologen an. Er kann Dich beraten, welche Option in Frage kommt und einen Versuch lohnt.

Welche Optionen stehen noch zur Verfügung?

Wenn die Logopädie allein nicht ausreicht, um schwere Schluckstörungen zu verbessern, kann eine Elektrostimulation der Rachenmuskulatur ausprobiert werden. Und bei besonders schweren Fällen von Mangelernährung oder wenn immer wieder Essen in die Lunge gelangt, kann eine Magensonde dauerhaft oder temporär für Abhilfe sorgen.

Was ist die beste Prävention gegen Schluck- und Sprechstörungen bei MS?

Das Du eine wirksame verlaufsmodifizierende Therapie hast und mit Deinem Lebenswandel positiv Einfluss nimmst. Es gibt mittlerweile für alle Arten der MS Therapieoptionen. Egal ob Du eine milde, aktive oder gar hochaktive MS hast, ob Du im schubförmigen oder progredienten Verlauf bist.

Lass Dich beraten. Am besten von einem auf Multiple Sklerose spezialisierten Arzt. Und sei Dir bewusst, dass Du in jeder Lebenssituation und passend zu Deinem Beruf oder Deinen Freizeitaktivitäten eine geeignete Therapie wählen kannst. Spritzen, Tabletten, Infusionen – fast immer stehen mehrere Optionen zur Auswahl. Und denk dran, Nebenwirkungen sind zwar nicht schön, aber eine fortschreitende MS bedeutet meist deutlich gravierendere und zum Teil unumkehrbare Auswirkungen.

Also verringere selbst Risikofaktoren, indem Du auf Tabakkonsum verzichtest und nur wenig Alkohol trinkst. Ernähre Dich ausgewogen und bewege Dich regelmäßig, am besten an der frischen Luft. Dann hast Du bereits ganz viel positiv beigetragen.

Denkanstoß

Hast Du ab und an leichte Probleme beim Schlucken oder Sprechen, die Du früher nicht hattest, dann lass es doch einfach mal bei einem Fachkundigen, sei es Dein Neurologe oder ein Logopäde überprüfen. Fast immer gilt, dass ein frühes Entgegenwirken zur besseren Prognose führt.

Linktipp

Wenn Du gerne noch mehr über Schluck- und Sprechstörungen lernen möchtest, dann empfehle ich Dir den Beitrag „Alles rund um Schluck-und Sprechstörungen“ der Schweizerischen Multiple Sklerose Gesellschaft. Dort findest Du auch drei weiterführende Links.

Frage an Dich

Hast Du schon mal Probleme mit dem Schlucken oder Sprechen gehabt? Und bestand eventuell ein Zusammenhang mit der Multiplen Sklerose?

 

Bestmögliche Gesundheit wünscht Dir,
Nele

Mehr Informationen und positive Gedanken erhältst Du in meinem kostenlosen Newsletter.

Hier findest Du eine Übersicht aller Podcastfolgen.