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MS-Perspektive - der Multiple Sklerose Podcast mit Nele Handwerker


May 11, 2022

Elisa Ascherl beantwortet Fragen rund um die Emendia App für MS-Patienten, die zum besseren Verstehen und Verfolgen der MS eingesetzt wird.
 
Hier geht es zum Blogbeitrag: https://ms-perspektive.de/interview-zur-emendia-app-fuer-ms-patienten
Coverbild zum Interview mit Elisa Ascherl über die MS-App Emendia | Podcast 137, Photo by Jonas Leupe on Unsplash
In Folge 137 begrüße ich Elisa Ascherl, die mir alle Fragen zur App Emendia MS beantworten wird. Der Beitrag ist Teil der Themenwoche zu digitalen Unterstützungsangeboten für MS-Patienten. Du erfährst, wie die Idee entstand mithilfe einer App die Behandlung zu verbessern, wer alles daran mitgearbeitet hat und was bereits alles möglich ist. Natürlich geht es auch um den Datenschutz und wie Emendia MS konkret im Alltag eingesetzt wird.
 

Vorstellung

Ich grüße dich aus Nürnberg, im schönen Franken – aus meinem, spätestens seit Beginn der Coronapandemie, sehr lieb gewonnenen Home-Office.

Seit 2020 arbeite ich bei der NeuroSys und bin seitdem für die Entwicklung von Emendia MS mitverantwortlich.

Schon vor meinem Studium im Bereich Gesundheitsmanagement und Wirtschaftspsychologie begeisterte mich die Vernetzung von tollen Möglichkeiten und Angeboten, um eine bestmögliche Gesundheitsversorgung zu gewährleisten. Dazu gehören für mich auch die Selbstverantwortung und die Selbstwirksamkeit als Betroffener einer Erkrankung. Diese als Teil des Lebens anerkennen zu können, aber gleichzeitig auf Augenhöhe mit medizinischem Fachpersonal sprechen zu können.

Als Jugendliche bin ich selbst in Kontakt mit einer chronischen Erkrankung gekommen – der Skoliose, einer leichte Rückenerkrankung. Ich musste eine Orthese tragen.

Schade war, dass viele Menschen eher mitleidig mit mir gesprochen und bei Fragen oft dieses Thema fokussiert haben. Ich hörte immer, was nicht mehr geht – Sport, Medizin studieren. Anstatt Hilfe zu bekommen. Erst durch eine Kur und der dadurch angebotenen Konfrontation mit der Erkrankung, durch das Erkennen der Selbstwirksamkeit wurde mir ganz persönlich geholfen, auch auf psychischer Ebene.

Ich habe dadurch die „Grenzen“ und Partner erkannt. Genau diese Möglichkeiten und Potenziale, die wir bei vielen anderen Erkrankungen auch haben – die Betroffenen als Teil des Heilungs-/Therapieerfolgs anzuerkennen, treiben mich jeden Tag an. Digitalisierung kann dabei helfen, verschiedene Welten zusammen zu bringen und Kilometer zu überwinden.

Ich selbst bin in Thüringen in einer ländlichen Region aufgewachsen, die Fahrten zu Kontrollterminen waren echt nervig. Da hätte ich mir nicht selten Telemedizin oder andere Möglichkeiten gewünscht, vermutlich meine Eltern noch mehr, denn diese mussten damals immer Taxi spielen.

Noch ein bisschen was zu meinen Hobbys. Ich liebe das Lesen, gute, tiefgründige Gespräche und das Gärtnern – gerade wächst neben mir die erste Frühzucht für die diesjährige Saison. Außerdem liebe ich Reisen, meine Familie und Freunde und ich „arbeite“ gerne.

Portraitbild von Elisa Ascherl, Project Manager Digital Helath, NeuroSys

Emendia MS – App zum besseren Verstehen und Verfolgen der MS

Wie würdest Du Emendia MS in Kurzform beschreiben?

Emendia ist ein alltäglicher, digitaler Begleiter im Rahmen der MS-Therapie. Ein digitale/r Partner/Partnerin.

Was war die Motivation zum Entwickeln von Emendia MS?

Emendia MS hat eine „Vorgeschichte“ durch ein weiteres Produkt von uns „PatientConcept“. Entstanden ist aber alles aus einer Motivation: Die Versorgung von Patientinnen zu verbessern, initial vor allem durch eine verbesserte Arzt-Patienten-Kommunikation. Ausgedacht hat sich das nicht irgendwer, sondern einer unser Mitgründer und langjähriger MS-Spezialist Dr. Michael Lang.

Dr. Lang leitete damals selbst eine MS-Schwerpunktpraxis in Ulm und sah die Probleme aus der Praxis und wollte eine Lösung.

Welche Probleme sah er?: MS ist eine chronische Erkrankung, doch die Patienten konnten nur bis zu 4-mal pro Jahr zur Konsultation vorgestellt werden. Als Arzt erhielt er nur eine punktuelle Bewertung des aktuellen Zustands seiner Patienten. Auch konnten sich die Patienten nur schlecht daran erinnern, wann es ihnen wirklich besser und wann schlechter ging. Das geht uns ja selbst schon fast so – man braucht sich ja nur mal fragen, wie man letzten Dienstag geschlafen hat. Wer kann sich noch erinnern?

Es fehlte somit an Wissen oder auch Daten, aus dem Alltag der Patienten. Und das ist in der MS-Therapie sehr wichtig, denn die Anpassung der Medikationen erfolgt u.a. auf Basis der Rückmeldungen der Patienten. Umso bessere Verlaufsdaten zur Verfügung stehen, umso besser kann auch ggf. die Anpassung erfolgen.

Die sogenannte Therapietreue der Medikamente ließ nach, denn waren die Beschwerden weniger, wurden die Medikamente nicht mehr genommen, obwohl die Entzündungsherde nicht einfach verschwinden, wenn keine Beschwerden vorhanden sind. (Auch niederschwellige Kontakte, das Gefühl mit dem Zentrum zu kommunizieren schafft eine höhere Therapietreue.)

Gleichzeitig gibt es wichtige medizinische Tests, die in der Praxis vor Ort viel Zeit dauern. Um die Sprechzeit mit den Patienten so effektiv wie möglich zu gestalten, empfahl es sich, Tests bereits zu Hause durchführen zu lassen.

Ein paar davon können digitalisiert werden. Wir haben mit dem MFIS und dem EDSS angefangen, dass Patienten diesen zu Hause oder vor dem Arztbesuch ausfüllen können. Wichtig ist, wir verwenden diese nicht als einmaligen Wert oder zur alleinigen Diagnose, vielmehr ist ein Verlauf der Werte über eine längere Zeit pro Patient wichtig.

Es entstand, mit einem Team aus IT-Experten, unter der Leitung von Martin Mayr, das erste Produkt PatientConcept. PatientConcept besteht aus einer App für Patienten und einem Portal für Ärzte. Eines der ersten Anwendungsgebiete war MS. Dieser Weg begann 2015 – also in der Steinzeit von Digital Health. Während der vergangenen Jahre haben sich die Ansprüche geändert und wir wollten mehr den Patienten in den Fokus rücken, auch ermöglichte das Digitale-Versorgung-Gesetz (DVG) eine neue Perspektive.

So ist Emendia MS, mit Fokus auf MS entstanden. Jedoch bleiben wir auch hier unserer Philosophie treu: Zu einer optimalen Versorgung von chronischen Erkrankungen gehört die Kommunikation mit dem betreuenden medizinischen Fachpersonal. Also bieten wir zur App auch weiterhin ein Portal für medizinisches Fachpersonal an.

Die Motivation ist also seit Beginn unserer Arbeit, die Lebensqualität von Menschen mit MS zu steigern, indem die MS-Versorgung durch digitale Tools verbessert wird.

Wer war alles an der Entwicklung beteiligt (Neurologen, Patienten, …)?

  • Mehrere Neurologen 🡪 verschiedene MS-Experten im Interview in Praxen, Unikliniken (also aus der Forschung und dem Alltag)
  • Patient:innen wie Du, Nele Handwerker 😉 
  • UI/UX-Designer [Anmerkung Nele: Die Aufgabe von UX-Designern ist es die Perspektive von Nutzern/Usern zu verstehen und in den Prozess der Softwareentwicklung einzubringen, damit frustfreie, leicht erlernbare und intuitiv zu bedienende Produkte entstehen.]
  • Softwareentwickler
  • Medizinprodukte-Experten
  • Digital Health Experts inklusive psychologischem Hintergrund

Was wollt Ihr mit Emendia MS erreichen?

Einen wirklichen Mehrwert für MS-Patientinnen und deren Ärzte schaffen, um somit die Versorgung für alle Beteiligte zu verbessern. Insbesondere möchten wir Patienten ermöglichen, noch aktiver die eigene Therapie mit in die Hand zu nehmen und zum Experten der eigenen Erkrankung zu werden.

Perspektivisch strukturierte Daten erheben um daraus mehr zu lernen und gegebenenfalls an der Entwicklung neuer Therapien oder Vorhersagen mitzuwirken. Dabei liegt der Fokus immer auf der Patientenversorgung.

Eventuell wird es irgendwann möglich sein, einen Schub vorauszusagen oder Änderungen der MS-Form? Doch das ist Zukunftsmusik. Was wir jetzt ganz konkret mit Emendia MS erreichen wollen, ist in der aktuellen Versorgung einen Mehrwert zu erzeugen, indem Betroffene die eigene Erkrankung selbst besser kennenlernen und 365 Tage im Jahr einen Partner zur Seite haben, mit welchem Messungen verschiedener Funktionen im Alltag durchgeführt werden können und damit nicht allein sind.

Dieses Ziel können wir erreichen indem die Arzt-Patienten-Kommunikation durch objektive und subjektive Daten ergänzt wird, die nicht nur während der Arzttermine aufgenommen werden, sondern im Alltag entstehen.

Hinzukommt die Verlaufsdarstellung, sprich MS-Betroffene sollen ein mit ihrem Arzt Gespräche auf Augenhöhe führen können. Und dem behandelnden Arzt liegen mehr Daten als Entscheidungsgrundlage vor.

Wir wollen fundiertes Wissen zu MS an die Hand geben, um selbst zum Experten der eigenen Erkrankung zu werden, um die eigenen Verantwortungen und deren Auswirkungen besser zu verstehen. Gesunde Ernährung, Alkoholkonsum oder Medikamentenadhärenz sind einige Beispiele dafür.

Emendia MS im Einsatz

Wie unterstützt Emendia MS Patienten in ihrem Leben mit der Erkrankung?

Emendia ist ein digitaler Begleiter, der umso wertvoller wird, je regelmäßiger er verwendet wird. So kann man die eigene Erkrankung und den eigenen Verlauf selbst tracken und an einem Ort dokumentieren via: Symptomtracking.

Bei unsicheren Symptomen kann man diese für den nächsten Arzttermin dokumentieren.

Medizinische Abfragen können selbst durchgeführt werden und die eigene Fatigue-Score sowie allgemeine Einschränkungen im Verlauf selbst eingesehen und bewertet werden.

Mit vier Tests (Floodlight® MS vom Hersteller Roche) können die Handfunktion, die Gehfähigkeit und die Kognition zwischen den Arztbesuchen einfach selbst mit dem eigenen Smartphone gemessen werden. Die Ergebnisse im Verlauf können für das nächste Behandlungsgespräch mit dem Arzt/der Ärztin genutzt werden. So kann ein besseres Verständnis für den individuelle MS-Erkrankung gewonnen werden.

Darüber hinaus dient Emendia der Wissensvermittlung – bezogen auf die eigenen Symptome, kann man so fundiertes, medizinisch-wissenschaftliches Wissen aufbauen und das ganz ohne Halbwahrheiten.

Die Verlaufsdarstellung bietet Nutzern und Ärzten wichtige Informationen.

Auftretende Schübe können mit konkreten Details dokumentiert werden.

Das Medikationstracking hilft dabei die eigene Medikationseinnahme besser zu nachzuverfolgen und kann auch für symptomatische Medikamente genutzt werden.

Durch die planbare Aufarbeitung erhält man für einen Mindestzeitaufwand maximale Vorteile.

Das Teilen der Daten mit dem behandelnden Neurologen unterstützt beide Seiten – Betroffenen und Arzt.

Wie wird Emendia von MS-Patienten angenommen?

Interessiert und offen, positiv vor allem das Selbsttracking und Teilen der Daten mit dem eigenen Neurologen schätzen viele. Die App-Nutzung lässt sich mühelos in den Alltag integrieren und ist einfach zu handhaben. Vor allem das Tomatenzerquetschen wird so beschrieben, dass es Spaß macht.

Aktuell befindet sich die App noch in der Erprobungsphase und wird gezielt eingesetzt. Mehr können wir nach unserer Zulassungsstudie sagen.

Welche Vorteile sehen Neurologen in Emendia MS?

Das meiste habe ich bereits in der Frage zur Motivation von Dr. Michael Lang erwähnt.

In der Kurzzusammenfassung: Emendia ermöglicht es Neurologen Daten im Verlauf zu sehen vor allem aus dem realen Leben der Patient:innen und nicht nur eine Momentaufnahme. Dafür wird kein Papier benötigt, alles ist digital.

Perspektivisch können so vorhandene Daten für Forschung und eine noch bessere MS-Versorgung genutzt werden. Zudem sind die Daten besser strukturiert, wodurch in der Sprechstunde das vordergründige Problem besprochen werden kann.

Im Moment sehen Ärzte die Versorgung ohne Emendia MS, wie ein schwarz übermaltes Bild, dass nur an einigen Zeitpunkten einen klaren Einblick ermöglicht. Aber was in der Zwischenzeit passiert und damit verbundene Zusammenhänge können sie nur erahnen, da es unter der schwarzen Farbe verborgen bleibt. Emendia MS liefert quasi ein Putzmittel, um die schwarze Farbe über den gesamten Zeitraum zu entfernen und auf das darunter liegende Bild in Gänze schauen zu können. 

Kannst Du vereinfacht beschreiben, wie persönliche Daten gesichert werden?

Datenschutz und Datensicherheit sind uns sehr wichtig, weswegen wir keine identifizierenden Daten wie Vorname, Nachname, etc. speichern, sondern lediglich eine weltweit einmalige Emendia-ID. An diese Emendia-ID sind die Gesundheitsdaten gebunden. Zusätzlich werden alle Daten in Deutschland gespeichert.

In welchem Umfang kann man Emendia MS aktuell nutzen?

Im Rahmen der Test-Erprobungsphase kann Emendia MS vollumfänglich genutzt werden.

Was wäre der Vorteil für Patienten, wenn ihr eine zugelassene digitale Gesundheitsanwendung seid?

Emendia MS würde dadurch refinanziert und wir können das Produkt weiterentwickeln und den Nutzen für Patienten zusätzlich ausbauen. Aktuell verdienen wir kein Geld damit, sondern zahlen alles aus eigener Tasche. Und es würde dadurch jedem gesetzlich Versicherten zur Verfügung stehen, über ein Rezept.

Welche Hürden müsst ihr noch überwinden bis zur Zulassung als DiGA?

  • Zulassungsstudie durchführen und erfolgreich abschließen.
  • ISO 27001 erhalten.
  • DiGA-Antrag stellen und bewilligt bekommen.

Was müssen interessierte MS-Patienten tun, wenn sie Emendia MS nutzen wollen?

Den eigenen Neurologen fragen, ob er Emendia MS kennt und einen Freischaltcode aushändigen lassen. Oder an uns wenden via info@emendia.de. Wichtig ist, dass Emendia aktuell nur in Verbindung mit einem Neurologen angewendet werden darf, weshalb eine Abstimmung mit dem behandelnden Neurologen wichtig ist. Wir unterstützen hier gerne beim Vermitteln.

Abschluss

Welchen Durchbruch für die Behandlung der MS wünschst Du Dir in den kommenden 5 Jahren?

Ich glaube wie jeder, dass MS geheilt werden kann. Aber davon sind wir vermutlich noch weit entfernt. Medikamente, die für Betroffene einfach (z.B. wie eine einfache Tablette) einzunehmen sind und kaum/keine Nebenwirkungen verursachen.

Dass es normal ist, MS im Verlauf zu tracken und Gesundheitsdaten als Teil der Therapie ebenfalls gleichwertig wie die regelmäßige Medikamenteneinnahme angesehen werden und wir somit alle etwas mehr Licht ins Dunkel bringen.

Möchtest Du den Hörerinnen und Hörern noch etwas mit auf dem Weg geben?

Digitalen Gesundheitsanwendungen eine Chance geben. Sie sind keinesfalls die alleinige Lösung, aber ein Teil davon. Noch ist alles Pionierarbeit und die Produkte sind nicht fertig, wachsen aber immer weiter. Diese Einstellung wünsche ich mir, dass wir am Anfang eines gemeinsamen Weges stehen. Denn nur gemeinsam können wir das Beste herausholen, was Zeit und manchmal auch Nerven (auf allen Seiten) braucht. Aber jede Reise beginnt ja bekanntlich mit dem ersten Schritt.

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Ich wünsche Dir bestmögliche Gesundheit,
Nele

Mehr Informationen rund um das Thema MS erhältst du in meinem kostenlosen MS-Letter.

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